11. Oktober 2022 / „Künstliche Intelligenz gehört in die Berufsausbildung!“ Das war das eindeutige Plädoyer von Hauptrednerin Dr. Carmen Köhler (Fraunhofer IAIS) beim „Jahreskongress Berufliche Bildung kompakt“ (jakobb kompakt) in der Siegerlandhalle. Etwa 100 Experten aus Ausbildungsbetrieben und Berufskollegs tauschten sich dort auf Einladung der IHK Siegen, des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), des Verlags Klett MINT und der Nachwuchsstiftung Maschinenbau über die „3D“ der Berufsbildung aus. „Digital, divers und im Dialog“ war das Motto der Tagung. Dr. Köhler – gelernte Friseurin sowie studierte und promovierte Mathematikerin und Physikerin – zeigte auf, dass Auszubildende heute ganz selbstverständlich mit den Applikationen der Künstlichen Intelligenz (KI) umgingen. „Sie reagieren neugierig und offen, wenn man ihnen Lernangebote hierzu macht“, ist die Erfahrung der Referentin.
Dabei komme es überhaupt nicht auf den Ausgangsberuf an. Skepsis sei eher auf der Seite der Ausbilder zu spüren. Diese seien oft unsicher, was KI genau sei und wie sie diese mit den Ausbildungsthemen verknüpfen könnten. Dabei nutzten viele schon die Anwendungen, sei es zum Navigieren, als digitale Assistenten wie Siri oder Alexa oder bei der „smarten“ Heizungssteuerung. Die Diskussion nach dem Vortrag machte deutlich, dass die Ausbilder ebenso wie die Lehrkräfte der Berufskollegs das Thema gern sinnvoll und berufsübergreifend in der Ausbildung einsetzen wollen. Die Frage nach dem Wie überwog demnach, und auch hierzu gab es bei der Veranstaltung wertvolle Tipps. Ein Beispiel aus den Workshops des Tages: Über berufsübergreifende Zusatzqualifikationen kann der Nutzen von KI von Einzelhandelskaufleuten bis zu Mechatronikern für alle Berufsgruppen erfahrbar gemacht werden. Damit werden die Auszubildenden zu betrieblichen Fachleuten. Die Beispiele klangen nachvollziehbar: KI-basierte Auswertungen der Kassenbons könnten im Handel die Steuerung erleichtern oder im Maschinenbau sensorgesteuerte und digital ausgewertete Maschinendaten genutzt werden.
Weitere Workshops befassten sich mit einem breiten Themenspektrum von der Berufsorientierung über den Umgang mit persönlichen Lebenskrisen der Auszubildenden bis hin zu individualisierten Lernpfaden, die mittels KI ermöglicht werden. Manfred Kämpfer vom Berufskolleg Technik Siegen stellte ein innovatives Beschulungskonzept für Splitterberufe vor. Außerdem gab es Informationen zum Einsatz von Robotik in der Ausbildung, zur Qualifizierung von Geflüchteten, zum digitalen Arbeiten in der Schule, zum digitalen Selbstmanagement des Ausbildungspersonals sowie zum Erstellen von Lernvideos. Marios Mouratidis präsentierte das FabLab der Universität Siegen.
Das abschließende Dialogforum befasste sich noch einmal mit den „3D“. Moderatorin und IHK-Geschäftsführerin Sabine Bechheim diskutierte mit ihren Gästen, wie digital die Ausbildung bereits ist und noch wird. Es wurde deutlich, dass sich die Bedarfe und auch die Inhalte bei einem Spektrum von der IT-Ausbildung bis zur Qualifizierung von Erziehern deutlich unterscheiden. Erstere wurde repräsentiert von Ausbilder Christian Buch und dem dualen Studenten Eduard Schumacher von der Siegener ifm business solution GmbH, die – naturgemäß – auch durch die Homeoffice-Regeln in der Corona-Pandemie kaum vom bisherigen Ausbildungskonzept abweichen mussten.
Anders stellte sich diese Situation für Schulleiter Carsten Arntz vom Erzbischöflichen Berufskolleg Köln dar, dessen sozialpädagogische Auszubildende teilweise erst lernen mussten, mit den digitalen Medien umzugehen. Dort stelle sich Diversität eher als ein Lerninhalt dar, denn die zukünftigen Erzieherinnen und Erzieher (letztere machen inzwischen immerhin knapp ein Drittel der Auszubildenden aus) treffen auch Kinder aus unterschiedlichsten Kulturkreisen und Familienkonstellationen. Dr. Eugen Dyck von der Nachwuchsstiftung Maschinenbau zeigte auf, wie die digitalen Möglichkeiten die betriebliche Ausbildung aufwerten können.
Zum Abschluss der Tagung machte Prof. Dr. Michael Heister vom Bundesinstitut für Berufsbildung klar, dass die gesellschaftlichen Umbrüche nur sehr langsam in der Berufsbildung ankämen. So sei der Mädchenanteil in den gewerblich-technischen Ausbildungsberufen seit Jahrzehnten relativ stabil auf niedrigem Niveau, im Unterschied zu den skandinavischen Ländern. Das sei umso bedauerlicher, als hier erhebliche Chancen für junge Frauen lägen und zudem die Betriebe dringend auf qualifizierten Nachwuchs angewiesen seien. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der technologische Wandel hier vielleicht den gesellschaftlichen voranbringen könnte. „Die Arbeit in diesen Bereichen ist ja längst nicht mehr so kräftezehrend oder schmutzig wie in früheren Zeiten“, widersprach Heister hartnäckigen Vorurteilen.
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